Jungen richtig fördern: Wie Sie Ihren Sohn beim Lernen unterstützen können

Nachdem viele Jahre der Blick der Pädagogik auf die gleichberechtigte Behandlung und Bildung von Mädchen gerichtet war, haben Erziehungswissenschaftler, Lehrer und Eltern mittlerweile erkannt, dass die Sorgenkinder unseres Bildungssystems schon lange nicht mehr die Mädchen sind. Es sind die Jungen, die eindeutig die traurige Statistik der Schulabbrecher, der Sitzenbleiber und der Förderschüler anführen. Doch wie kommt das? Sind die Jungen nun unweigerlich die Verlierer unseres Bildungssystems? Sicher nicht! Lesen Sie hier, wie Sie als Eltern Ihren pubertierenden Sohn richtig fördern und unterstützen können.   

Jungen sind bei der Einschulung sicher nicht dümmer als Mädchen, doch die Erfahrung vieler Jungen gleich zu Anfang ihrer Schulkarriere ist oft von weniger Erfolgen gekrönt. Die kleinen Mädchen scheinen mit ihrem Verhalten und ihren Vorlieben einfach besser in unser Schulsystem zu passen als die kleinen Jungen.

Ihr Sohn lernt anders als Mädchen!
Mädchen sind bei der Einschulung häufig reifer als Jungs, sie können eher stillsitzen, ihre bereits ausgebildete Feinmotorik erleichtert ihnen das Malen, Ausschneiden und Schreiben. Mädchen können oft früher und besser lesen und schreiben. Die Jungen bilden meist erst mit der Pubertät die Feinmotorik aus. Bis dahin ist vielen – vielleicht auch Ihrem Sohn – das Zeichnen oder Schönschreiben ein Graus. Auch das Stillsitzen fällt den Jungen naturgemäß schwer. Konflikte werden eher durch Raufereien ausgetragen. Die Mädchen „zicken“ sich hingegen lieber an. Das ist auch nicht nett, aber nervt die Lehrer meist weniger. Zudem lernt Ihr Sohn vermutlich wie die meisten Jungen lieber handlungsorientiert. Das heißt, er will Dinge ausprobieren, experimentieren und forschen, bevor er über Inhalte nachdenkt oder Gesetzmäßigkeiten aufschreibt. Die Mädchen kommen auch mit dem umgekehrten Vorgehen gut zurecht oder mögen dies sogar lieber. So verdauen Mädchen auch eher Frontalunterricht oder Unterricht, der Wissen vorwiegend über Lesen und Schreiben vermittelt.

Eine Frage der Perspektive – Hyperaktivität oder Forscherdrang?
Jungen und Mädchen legen also ein unterschiedliches Lerntempo an den Tag und sie haben unterschiedliche Lernstile, um sich Wissen anzueignen. Diese geschlechtsspezifischen Abweichungen lassen sich vom Kindergarten bis zum Erwachsenenalter beobachten. Der amerikanische Psychologe Dr. W. F. Pollack, forscht seit vielen Jahren an der medizinischen Fakultät der Universität Harvard über „Jungen, Männer und Männlichkeit“. Folgendermaßen beschreiben ausgebildete Lehrkräfte in einem seiner Seminare den Lern- und Verhaltensstil von Jungen: „Jungen sind nüchterner und konkreter als Mädchen“, sie „zeigen Ihren Widerstand offener“, sie „sind häufig schlechte Zuhörer, aber besser in kinästhetischen (handlungsorientierten) Aufgaben“, sie „neigen stärker dazu…in offene Konflikte zu geraten und sich ihren Weg `freizukämpfen`“, sie „zeigen ihre Zuneigung häufig durch Taten oder durch einen handfesteren Körperkontakt“, „um neue Ideen aufzunehmen, benötigen Jungen die Freiheit, sie in Spielen mit selbst auferlegten Regeln auszuleben“ und „Jungen zeigen eine ganze Menge `intellektuellen Mut`, hinter dem sie ihre Unsicherheit verbergen. Das Prahlen benötigen sie jedoch, um ihren Platz zu behaupten.“

Es falle auf, so Pollack, dass die befragten Lehrerinnen und Lehrer die Eigenschaften der Jungen „nicht negativ“ bewerten. Wären sie weniger verständnisvoll und mitfühlend gewesen, dann hätten sie Jungen auch grundsätzlich als Schüler mit häufigen „Lernschwierigkeiten, körperlicher Aggression, Konzentrationsschwäche, Hyperaktivität oder gar krankhaften Auffassungsstörungen“ beschreiben können.

Das soll nicht bedeuten, dass es auch Jungen gibt, die eben solche Probleme tatsächlich haben. Doch oft ist es wirklich eine Frage der Perspektive bzw. des Blickwinkels aus dem heraus sich entscheidet, wie Lehrer ihre Schüler und Eltern ihre Söhne wahrnehmen und beurteilen. Nehmen Sie eben jenen „liebevollen“ und „mitfühlenden“ Blick ein, für den Pollack wirbt, so liegt die Verantwortung nicht mehr bei den Jungen allein sich „verändern“ und „anpassen“ zu müssen, sondern vor allem bei Ihnen, den Eltern und Lehrern, den Jungen ein schulisches und familiäres Umfeld zu gestalten, dass ihren Bedürfnissen gerecht wird.

So schaffen Sie zu Hause eine anregende Lernumgebung für Jungen
Dass Jungen sich im Leistungsrückstand befinden, ist kein deutsches Problem. Auch in anderen europäischen Ländern, den USA oder zum Beispiel in Australien haben die Jungs die größeren schulischen Probleme. Wird zudem der Faktor Armut berücksichtigt, vergrößert sich der Unterschied zwischen den Geschlechtern noch mehr.

Sicher ist es nicht möglich, Schule von heute auf morgen so zu verändern, dass sie beiden Geschlechtern und individuell jedem Kind zu jeder Zeit gerecht wird. Gut möglich ist es aber, dass Sie die häusliche Lernumgebung in manchen Bereichen mehr auf die Bedürfnisse und Besonderheiten der Jungen abzustimmen. Ein paar Ideen:

  • Lesen und Schreiben am Computer: Da die Mädchen in der Regel früher und besser lesen und schreiben können und sich dieser Unterschied bis zur Pubertät meist auch noch ausbaut, assoziieren die Jungen diese Fähigkeiten häufig als „typisch weiblich“. Um sich davon abzugrenzen oder weil Jungen hier früh die Erfahrung gemacht haben, nicht mithalten zu können, lesen Jungen freiwillig vielleicht wenig oder verweigern es ganz. Hingegen ist der Computer statistisch betrachtet das Jungenmedium schlechthin. Zwar wird von ihnen der Computer vorwiegend zum Spielen genutzt, doch pädagogische Versuche haben bereits deutlich gezeigt, dass Jungen, die im Unterricht sonst das Lesen verweigern, mit Hilfe des Computers zum Lesen und Schreiben motiviert werden können.
  • Auswählen geeigneter Texte: Um der Lese- und Schreib-Unlust entgegenzuwirken, sollten Eltern beim Üben mit Jungs eher sachorientierte Texte auswählen oder extra für Jungen geschriebene Texte. Schon in der Grundschule machen Jungen weniger Fehler in Diktaten, in denen sie Wörter aus ihren Interessengebieten schreiben müssen, wie zum Beispiel Fußball oder Höhle.
  • Vermehrter Einsatz visueller Medien: Den Interessen und Neigungen der Jungen kommt es entgegen, wenn Sie beim Üben häufiger visuelle Medien wie z. B. Videos einsetzen.
  • Handlungsorientiertes Lernen: Trial and Error – so lernen Jungs am liebsten und am besten! Nicht ständig, aber dort, wo es Möglichkeiten gibt, dass Ihr Sohn durch Versuche und Experimente herausfindet, was richtig und falsch ist, sollten Sie ihm die Gelegenheit dazu geben.
  • Mehr Orte und Zeiten für Bewegung: Jungen lernen über Erleben und Bewegen. Sie brauchen in der Regel mehr Bewegung als die Mädchen, um Spannungen abzubauen, ihren Bewegungsdrang zu befriedigen und ihre in der Pubertät vermehrt wachsende Muskulatur zu fordern. Um den Jungen hier gerecht zu werden, sollten Sie nach der Schule ausreichend Zeit für Bewegung bzw. Sport einplanen.
  • Männliche Vorbilder und Mentoren: Oft sind Jungen bis zur weiterführenden Schule es gewöhnt, dass sie durch Frauen erzogen und ausgebildet werden. Umso wichtiger ist es, dass die Jungen dann während der Pubertät männliche Vorbilder finden, die positiv zu ihrer Entwicklung und Identitätsbildung beitragen. Planen Sie als Vater bitte regelmäßig „Männerzeit“ mit Ihrem Sohn ein!

Schlechtere schulische Leistungen führen zu weniger Selbstvertrauen
Mädchen haben vor allem in der Pubertät Probleme mit ihrem Selbstvertrauen – aber Jungen auch! Offensichtlich wurde dies eine Zeitlang auch von der pädagogischen Forschung übersehen. Dass schlechte schulische Leistungen bei Mädchen einen erheblichen Leistungsdruck und Selbstvertrauenskrisen auslösen können, ist hinreichend untersucht und belegt. Dass Jungen nicht weniger, oder sogar noch mehr leiden, ist eine neuere Erkenntnis. Die falsche Annahme, dass Jungen weniger Schwierigkeiten mit ihrem Selbstbewusstsein haben, hängt wohl damit zusammen, dass sie ihre Verunsicherungen gut tarnen können. Mit gelernter Coolness oder großen Sprüchen verdecken sie Schamgefühl und Ängste. Neuere Untersuchungen stellen heraus, dass Jungen im Verlauf der Pubertät zunehmend unsicherer werden und die eigene Persönlichkeit immer mehr in Frage stellen. Offensichtlich lastet auf den Jungen ein stärkerer Druck, den gesellschaftlichen Erwartungen an ein starkes männliches Selbstbewusstsein gerecht zu werden. Stark und selbstbewusst bei vermehrt schlechten schulischen Leistungen fühlen sich die Jungen also ganz und gar nicht, sie zeigen es nur nicht.

Harter Junge oder Weichei – zwischen verschiedenen Bildern von Männlichkeit
Mehr noch als unter dem Druck zu stehen, ein cooler und selbstbewusster Mann zu sein, leiden Jungen unter den verschiedenen Rollen, die Ihnen von der Gesellschaft gleichermaßen zugewiesen werden. Der selbstbewusste, starke vielleicht sogar machohafte Typ ist nur eine Rolle, die mitunter harsch verurteilt und zurückgewiesen wird. Hier wird dann der einfühlsame, emanzipierte Mann, eingefordert, der offen seine Gefühle zeigt. Zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich Ihr Sohn im Laufe seiner Pubertät, immer auf der Suche nach einer eigenen Identität und Selbstbestimmung. Dabei wechseln die Erwartungen an Ihren Sohn unter Umständen mehrmals täglich. Morgens in der Schule, während einer Diskussion über Männer- und Frauenberufe, gibt Ihr Sohn den Emanzipierten, vielleicht auch, weil der Lehrer diese Haltung erwartet. In den Pausen oder nachmittags unter Freunden und auf dem Fußballplatz wird von ihm der harte Kerl eingefordert. Und am Abend, bei der Freundin, ist dann wieder die einfühlsame Verhaltensvariante gefragt. Vielleicht erwarten auch Sie als Eltern in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich männliches Verhalten von Ihrem Sohn. Selbstverständlich kann Ihr Sohn mit 14 Jahren alleine zwei Wochen in England einen Sprachkurs belegen. „Richtige“ Jungs haben kein Heimweh! Genauso selbstverständlich soll Ihr Sohn aber auch einfühlsam seine ein Jahr ältere Schwester trösten, die sich eine solche Reise noch nicht zutraut. Vielleicht etwas überzogen, aber im Kern wahr, denn dieses Beispiel zeigt: Vor allem in der Pubertät braucht Ihr Sohn vermehrt Ihren Schutz und Ihre Begleitung

8 Erziehungstipps für die optimale Entwicklung von Jungen
Da Sie Ihren 14jährigen Jungen wohl kaum mehr zum Kaulquappen sammeln schicken können, um seinen Forscherdrang zu befriedigen und vermutlich auch wenig Lust darauf haben für ihn in die Rolle eines besseren Ersatzlehrers zu schlüpfen, können Sie sich bei Förderung und Unterstützung Ihres pubertierenden Sohnes auf folgende Dinge konzentrieren:

  1. Es ist wichtig, dass Ihr Zuhause auch immer das Zuhause Ihres Sohnes bleibt, sein Zufluchtsort: Sicher will er sich von der Familie lösen, selbständig und stark werden. Doch wann und wie sehr er sich „trennen“ will, das sollte er selbst festlegen. Jungen leiden unter zu frühen oder plötzlichen Trennungen oft sehr, ohne dies zu zeigen. Denken Sie an die bekannte Weisheit, die besagt: „Dort, wo dir die Tür geöffnet wird, wenn du anklopfst, dort ist dein zu Hause!“
  2. Begleiten Sie Ihren Sohn auf seinem Weg zu einer eigenen Identität: Begleiten heißt, ihm das Steuer zu überlassen, aber da zu sein, wenn Ihr Sohn sie braucht. Zerren oder schubsen Sie ihn nicht in eine bestimmte Richtung, drängen Sie ihn nicht zu Gesprächen, wenn er dazu nicht bereit ist. Seien Sie einfach da und bieten Sie ihm einen geschützten Raum, indem er ohne Scham und Spott seine Gefühle erkunden kann. Zeigen Sie ihm, dass Sie ihn verstehen, die Probleme und Fragen der Pubertät kennen, ohne sich anzubiedern.
  3. Berücksichtigen Sie sein individuelles Tempo: Jeder Junge entwickelt sich nach einem ganz eigenem Fahrplan. Kommt Ihr Sohn früh in die Pubertät, so kann sich hinter dem großen Kerl dennoch ein kleiner Junge verstecken, der häufig Ihre Nähe braucht, den sie länger unterstützen und begleiten müssen.
  4. Überprüfen Sie Klischees: Reden Sie mit Ihrem Sohn über die verschiedenen Bilder von Männlichkeit die ihm im Alltag, in der Schule und in der Familie begegnen. Lösen Sie Klischees auf, die Ihnen nicht gefallen oder Ihren Sohn befremden. Auch Jungen können waschen und kochen, gerne lesen und gut in Deutsch sein.
  5. Akzeptieren Sie, dass Ihr Sohn manchmal anders ist, als es die Schule erwartet: Vielleicht liest Ihr Sohn keine Bücher, dafür aber Zeitschriften, vielleicht ist er kein großer Aufsatzschreiber, dafür geht er kompetent mit dem Computer um, vielleicht hat er eine furchtbare Schrift und hasst Kunst, aber gestaltet hervorragend am Computer oder fotografiert gerne. Leider finden nicht alle Qualitäten Ihres Sohnes Anerkennung in der Schule.
  6. Bieten Sie ihm ausreichend Möglichkeiten zur Bewegung: Vor allem in der Pubertät, wenn der Körper und die Muskeln wachsen, ist es wichtig, dass sich Ihr Sohn bewegt. Regelmäßiger Sport hilft auch beim Stressabbau und fördert die Konzentration. Außerhalb des Vereinssports können Sie zusammen mit Ihrem Sohn Klettern, Kanufahren, Mountainbiken etc.
  7. Verabreden Sie sich mit Ihrem Sohn: Im Alltag ist oft zu hektisch, um regelmäßig gemeinsame Zeit miteinander zu verbringen. Also verabreden Sie sich hin und wieder mit ihrem Sohn zum Essen, im Kino oder zum Joggen. Signalisieren Sie ihm Ihr Interesse, hören Sie ihm aufmerksam zu, wenn er reden will und wertschätzen Sie Ihn so wie er ist.
  8. Organisieren Sie männliche Vorbilder: Meist treten um das 14. Lebensjahr die Eltern ein wenig in den Hintergrund und die Bedeutung männlicher „Mentoren“, die Ihrem Sohn nun mit Rat und Tat zur Seite stehen, nimmt zu. Ob Fußballtrainer oder Musiklehrer – sind Erwachsene in der Nähe, an die sich Ihr Sohn vertrauensvoll wenden kann, so ist er nicht bei allen Fragen auf ebenso hilfsbedürftige Gleichaltrige angewiesen.

Ein abschließender Rat:
Um mit Ihrem Sohn ins Gespräch zu kommen, suchen Sie sich einen Ort, an dem Sie für sich seien können. Unternehmen Sie dort gemeinsam etwas, das Ihrem Sohn Spaß macht. Spielen Sie zum Beispiel Schach oder Basketball mit Ihm und kommen Sie während des Spiels mit Ihrem Sohn ins Gespräch (Pollack nennt das „action talk“): „Du bist sehr ruhig seit letztem Wochenende…ist alles in Ordnung?“ Ihr Sohn wird vermutlich gesprächsbereiter sein, wenn sie währenddessen gemeinsam aktiv sind. Auch umgekehrt zeigt Ihr Sohn seine Zuneigung und Liebe zu Ihnen vermutlich durch Aktivitäten. Vielleicht räumt er unaufgefordert die Spülmaschine aus, mäht den Rasen oder kocht Ihnen einen Tee. Bieten Sie Ihrem Sohn ausreichend Möglichkeiten zu gemeinsamen Aktivitäten und wertschätzen Sie seine Zeichen der Zuwendung.