Sind die Noten im Keller, dann heißt die vermeintliche Lösung meist „üben, üben, üben!“ Durchaus einsichtig, aber dennoch zähneknirschend versuchen viele Schülerinnen und Schüler nun, ihr Lernpensum zu erhöhen, doch leider lässt der Erfolg dabei manchmal sehr zu wünschen übrig. Lesen Sie hier, wann und wie üben sinnvoll ist und wie Sie Ihr Kind dabei richtig unterstützen können.
Den meisten Schülern ist Üben ein Graus. Schade eigentlich, denn wenn sie mit dem Üben gute Erfahrungen gemacht hätten, das Üben also etwas gebracht hätte, zum Beispiel gute Noten, dann müssten Schüler eigentlich gerne üben. Irgendetwas scheint also schief zu laufen mit dem Üben.
Üben zum „Abgewöhnen“ – so sollte nicht geübt werden!
Vor allem in den ersten Schuljahren, wenn noch viel in der Schule geübt wird und Eltern gemeinsam mit ihren Kindern zu Hause vor Tests und Klassenarbeiten üben, dann lernen leider viele Schüler, dass „Üben doof“ ist. Diese Schüler haben vermutlich folgende Erfahrungen gemacht:
- Üben ist langweilig: Um Lernstoff zu verfestigen und zu vertiefen, ist Üben wichtig. Doch wenn Ihr Kind dazu in Deutsch oder Mathematik täglich und über lange Zeit zahlreiche Arbeitsblätter mit ähnlichen Aufgabenstellungen erledigen musste, dann hat es gelernt, dass Üben langweilig ist.
- Üben bringt nichts: Üben bringt nichts, vor allem bringt es wenig Lob und Anerkennung. Diese Erfahrung machen viele Schüler bevor sie wissen, ob sich das Üben vielleicht positiv auf ihre Noten ausgewirkt hat. Üben wird oft als selbstverständliche Tätigkeit vorausgesetzt. Gelobt wird meist erst das Ergebnis und zu selten die Anstrengungen auf dem Weg dorthin. Wird zu viel auf einmal geübt, streikt das Gehirn!
- Üben ist anstrengend: Wenn Sie mit Ihrem Kind vor Tests geübt haben und dabei vielleicht mitunter zu lange und zu viel auf einmal gelernt haben, dann hat Ihr Kind das gemeinsame Üben als eine anstrengende Gelegenheit kennen gelernt. Erwachsene überschätzen regelmäßig die Konzentrationsfähigkeit von Kindern. Kinder unter 10 Jahren können sich nur 15 bis maximal 20 Minuten am Stück konzentrieren. Ab 12 Jahren steigt die Konzentrationsfähigkeit langsam auf ca. 25 Minuten.
- Üben führt zu Streit: Klappt das gemeinsame Üben nicht, dann kommt es schnell zu Streit. Oft ist das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern schon vor dem Üben angespannt, denn wenn in der Schule alles glatt liefe, dann müsste man jetzt ja nicht üben. Auch Eltern haben manchmal keine Lust mit ihrem Kind zu üben und das spüren die Kinder.
Beachten Sie den Unterschied zwischen Üben und Verstehen
Wenn Sie mit Ihrem Kind üben wollen oder mit Ihm besprechen möchten, wie es selbst am besten üben kann, dann sollten Sie folgenden Grundgedanken berücksichtigen: Ihr Kind kann nur solchen Lernstoff üben, den es bereits vollständig verstanden hat! Üben dient
- der Vertiefung des Lernstoffs: Das Wissen soll langfristig im Gedächtnis gespeichert werden und dadurch zum Beispiel in Prüfungssituationen besser abrufbar sein;
- der Steigerung des Arbeitstempos: Häufig geübte Rechenoperationen oder Rechtschreibregeln können schneller und sicherer angewendet werden.
Üben ersetzt also nicht das Verstehen. Hat Ihr Kind in einem Schulfach, zum Beispiel Englisch, größere Defizite angesammelt, dann muss bei der Nacharbeit sauber getrennt werden zwischen Inhalten, die Ihr Kind mit Üben nachholen kann (z.B. Vokabeln, Lesen) und Inhalten, die Ihr Kind erst einmal verstehen muss (z.B. Grammatik), bevor es eine Routine erwirbt.
Wann Üben sinnlos bzw. sinnvoll ist – vier häufige Elternfragen
- „Überfordern mein Kind die schulischen Herausforderungen oder kann mein Kind diese Herausforderungen mit einem gesunden Maß an Anstrengung bewältigen?“ Sind Sie der Meinung, dass Ihr Kind nur mit sehr viel Fleiß und Mühe den Anforderungen der Schule gerecht werden kann, dann sollten Sie besser über eine schulische Alternative nachdenken. Dauerhaft üben zu müssen, ohne Aussicht auf ein Ende oder gar einen größeren Erfolg, demotiviert jeden Schüler.
- „Bringt mein Kind zurzeit genug Motivation mit, um tatsächlich effektiv üben zu können?“ In der Pubertät haben Jugendliche manchmal Phasen, in denen die Schule nahezu völlig an Bedeutung verliert. Alles andere als Lernen ist nun wichtig. Schlechte Noten nehmen Schüler in dieser Zeit ohne größere Schmerzen in Kauf. Wenn Sie spüren, dass Ihrem Kind die Schule im Moment wirklich egal ist, dann wird es auch trotz guter Vorsätze in naher Zukunft nicht ausreichend üben. Manchmal sind in solchen Zeiten kleine „Überraschungseffekte“ gefragt, um Schüler wieder aus ihrem „Pubertätsschlaf“ zu wecken. Vielleicht reichen bereits ein paar „Blaue Briefe“ als Vorwarnung, oder Sie lassen Ihr Kind einfach einmal „freiwillig“ eine Klasse wiederholen, damit die Lücken nicht zu groß werden.
- „Hat mein Kind ausreichend Zeit, um möglichst stressfrei größere fachliche Lücken zu schließen?“ Diese Frage ist vor allem dann wichtig, wenn Ihr Kind zum Beispiel in Folge eines Schulwechsels viele Inhalte nacharbeiten muss oder so große Wissenslücken hat, dass die Versetzung gefährdet ist. In beiden Fällen wird Ihr Kind es kaum schaffen, neben dem laufenden Schuljahr so viel nachzuarbeiten und zu üben, dass es problemlos wieder Anschluss findet. Überlegen Sie also, ob und wie Ihr Kind zum Beispiel die Osterferien oder langen Sommerferien zum Üben nutzen kann und außerdem noch Zeit zur Erholung hat. Wenn nötig, organisieren Sie rechtzeitig eine kompetente Nachhilfe, die in dieser Zeit häufig oder täglich zur Verfügung steht, je intensiver umso besser.
- „Wann und wie viel soll mein Kind überhaupt üben?“ Genau genommen, können ab einem bestimmten Alter Ihres Kindes nicht mehr Sie diese Frage beantworten, Ihr Kind muss darauf selbst eine Antwort finden. Wie diese Antwort ausfällt, hängt unmittelbar mit seiner persönlichen Motivation und seinem schulischen Ehrgeiz zusammen. Reicht Ihrem Kind die sichere 4 in Englisch aus, dann wird Ihr Sohn oder Ihre Tochter aus eigenem Antrieb wohl kaum mehr üben, um sich hier zu verbessern. War die 3 in Mathe aber unter der „persönlichen Würde“, dann kann Ihr Kind zu gleicher Zeit plötzlich eine Menge Energie freisetzen, um in Mathe wieder die 1 zu bekommen. Verordnen Sie also Ihrem Kind für die Ferien oder während der Schulzeit zusätzliche Übungszeiten, kann es Ihnen passieren, dass Ihr Kind heftig rebelliert oder die Übungszeit einfach relativ untätig „absitzt“. Sicher können Sie äußere Anreize setzen, zum Beispiel durch Belohnungen. Die „innere Einsicht“ Ihres Kindes mehr zu üben, können Sie aber am ehesten durch sachliche Gespräche über seine persönlichen schulischen und beruflichen Ziele herbeiführen. Trotzdem gilt: Motivation erzwingen können Sie nicht!
Ist Ihr Kind nun auch der Meinung, dass es für den nächsten Test, für eine wichtige Prüfung oder eine mündliche Abfrage üben muss, dann sollte es dabei folgende Punkte beachten:
Das Signal an den Kopf muss stimmen: „Dass ich jetzt lerne und was ich jetzt lerne, ist wichtig!“ Nur diese innere Einstellung versetzt das Gehirn Ihres Kindes in Arbeitsbereitschaft. Fehlt dieses Signal, gelangt der Lernstoff nur schwer oder gar nicht in den Kopf. Als „unwichtig“ bewertete Informationen sortiert unser Gehirn als überflüssigen „Gedächtnismüll“ aus. Das Üben ist dann umsonst,
Die Schulzeit nutzen: Würden Schüler das wirklich tun, dann würden sie sich viel Übungszeit sparen. Oft muss zu Hause gerade das nachgearbeitet und geübt werden, was im Unterricht verschlafen wurde.
Strukturiert üben: Viele Schüler üben chaotisch. Das Gedächtnis kann sich aber dann Lernstoff besonders gut merken, wenn es weiß, in welche „Schublade“ welche Informationen hineingehören. Vor dem Üben sollte sich Ihr Kind also zunächst einen Überblick über das
ganze Themengebiet verschaffen und dann entscheiden, was geübt werden muss.
Mehrkanalig lernen – den Lernstoff visualisieren: Üben ist dann besonders effektiv, wenn der Lernstoff über verschiedene Lernkanäle, das heißt über das Lesen, Schreiben, Zuhören, Zeichnen, Erzählen etc. aufgenommen wird. Das Gedächtnis kann besonders gut Lernstoff speichern, wenn dieser gut visualisiert ist. Je nach Lerninhalt bieten sich hier verschiedene Visualisierungsformen, wie zum Beispiel Zeitleisten, Mind Maps oder Flussdiagramme, an.
Mit eigenen Worten den Lernstoff wiedergeben: Ihr Kind sollte so oft wie möglich und wo immer es sich anbietet versuchen, Ihnen, sich selbst oder einem Freund den Lernstoff mit eigenen Worten zu erzählen. Wenn dies gelingt, dann hat Ihr Kind diesen Lernstoff recht sicher gespeichert. Vermutlich ist diese Lernstrategie eine der besten überhaupt.
Richtig wiederholen: Üben heißt auch, den Lernstoff häufig zu wiederholen. Stimmt die Lernstrategie, dann sind weniger Wiederholungen nötig. Günstig ist es, wenn Ihr Kind Wiederholungen in kürzeren Zeitabständen durchführt. Je besser der Lernstoff sitzt, umso größer können dann die Abstände zwischen den Wiederholungen werden. Eine sinnvolle Hilfe, zum Beispiel beim Vokabellernen, ist hier der Karteikasten. Zudem sollte Ihr Kind beim Wiederholen möglichst viele Lernkanäle einsetzten
Ähnlichkeiten vermeiden: Mancher Lernstoff will einfach nicht im Gedächtnis bleiben, hat ihn Ihr Kind auch noch so oft wiederholt. Ein Grund dafür könnte sein, dass Ihr Kind zum Beispiel zu ähnliche Vokabeln (z.B. compare, compete, complete) oder zu ähnliche Formeln oder Regeln (z.B. S-Schreibung: Regeln für s, ss und ß) miteinander vermischt übt. Hier sollte Ihr Kind folgende Grundregel berücksichtigen: So lange Lernstoff getrennt üben (z.B. Wortlisten anlegen, Beispielsätze schreiben etc.), bis er 100 Prozent sitzt und dann erst gemischt üben!
Weniger ist manchmal mehr: Bei Überlastung hilft sich das Gedächtnis, indem es einfach das, was zu viel oder zu kompliziert ist, schnell wieder vergisst oder sich gar nicht erst merkt. Um auch dieser Form der „Müllentsorgung“ vorzubeugen, sollte Ihr Kind nicht zu große Mengen Lernstoff auf einmal üben. Vokabeln zum Beispiel kann Ihr Kind in vielen kleinen 6er-Päckchen nacheinander lernen, zwischen den einzelnen Päckchen sollte es ca. 20 Minuten anderen Lernstoff trainieren oder Pause machen.
Ausreichend Pausen machen: Überlastet ist das Gedächtnis Ihres Kindes auch dann, wenn es zu wenig Pausen bekommt. Fehlen die Pausen, nimmt die Konzentration kontinuierlich ab und das Gedächtnis kann Lernstoff nicht mehr speichern. Das Üben ist also umsonst. Ab 12 Jahren sollte demnach Ihr Kind spätestens nach 30 Minuten eine bewusste 5 bis 10-Minuten-Pause machen.
In die Rolle des Lehrers schlüpfen: Sich selbst eine Klassenarbeiten zusammenstellen, zu überlegen, was für Aufgaben vielleicht dran kommen könnten und dann diese lösen, ist eine gute Übung, die den meisten Schülern Spaß macht.
Das Tempo erhöhen – mit Freunden lernen: Immer alleine zu üben kann auf Dauer langweilig werden. Vielleicht hat Ihr Kind ja Spaß daran mit Freunden kleine „Lernwettkämpfe“ zu veranstalten (z.B. Wer löst am schnellsten die Matheaufgabe? Wer weiß die meisten Vokabeln etc.) Eine sinnvolle Übung ist es auch, sich Aufgaben selbst auszudenken und dann gegenseitig zu lösen.
Drei Tipps für Eltern
- Ihr heranwachsendes Kind können Sie nicht mehr „zwingen“ mit Ihnen zu lernen. Bieten Sie ihm Ihre Hilfe an, aber überlassen sie ihm die Entscheidung, ob es die Hilfe annehmen möchte. Am besten sagen Sie Ihrem Kind klar und deutlich in welchem Zeitraum Sie sich zum gemeinsamen Lernen Zeit nehmen können. So vermeiden Sie, dass Sie dann doch noch regelmäßig spät abends vor der Klassenarbeit als Katastrophenhilfe gerufen werden.
- Sollten Sie das Glück haben, dass Ihr Kind mit Ihnen lernen will, dann gestalten Sie das gemeinsame Üben als schöne und angenehme Zeit. Machen Sie es sich mit Kaffee und Kakao auf dem Sofa gemütlich. Spielen Sie nicht den „Lehrer“, der mit strenger Miene abfragt, sondern unterhalten Sie sich über Lerninhalte und lassen Sie sich den Lernstoff von Ihrem Kind erzählen.
- Übrigens: Zum Üben gehört ebenfalls, dass Ihr Kind lernt, auch unangenehme Dinge eine Weile durchzuhalten. Loben Sie Ihr Kind daher, wenn es ausdauernd und konzentriert lernt. Loben Sie grundsätzlich immer die Mühe, die sich Ihr Kind beim Lernen und Üben macht und nicht nur den Erfolg oder die gute Note.